Innovative Lernumgebungen – Inquiry-based Learning
… als Motor für eine veränderte Lernkultur
Ein Beitrag von Dr. Livia Jesacher-Rößler – Board-Mitglied:
Innovative Lernumgebungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Silo-artigen Strukturen der Fächerlehrpläne verlassen werden und übergreifendes Lernen z.B. in Form von „Phenomen-based Learning“ (Finnland) oder „Knowledge Building Circles“ (Kanada) ermöglicht wird. Die dahinterliegende Absicht zielt darauf ab, Schüler:innen in ein Haltung des forschenden Lernens zu bringen, um lebensweltliche komplexe Fragestellungen zu beantworten.
Gründe für Inquiry-based Learning
Für die COOL-Multiplikator*innentagung, die im vergangenen Jahr in Seminarzentrum Schlägl stattfand, lag der Schwerpunkt auf der Auseinandersetzung mit Modellen des „Inquiry-based Learning“. Unter Inquiry-based Learning versteht man „eine Bildungsstrategie, bei der die Schülerinnen und Schüler Methoden und Praktiken anwenden, die denen von professionellen Wissenschaftlern ähneln, um Wissen zu konstruieren“ (übersetzt nach Keselmann, 2003). Inquiry-baed Learning befördert die Fähigkeit wissenschaftlich zu denken und wissenschaftliche Befunde einordnen zu können – eine Kompetenz, die zunehmend wichtiger wird in unserer heutigen Gesellschaft. Inquiry-based Learning kann überdies dazu beitragen, überfachliche Kompetenzen, wie sie etwa im Lehrplan der HAK angeführt werden zu fördern. Der Zugang setzt nämlich voraus, dass Lernende zur Lösung von Aufgaben erforderlichen Informationen selbstständig beschaffen, bewerten sowie Informations- und Kommunikationstechnologien einzusetzen, um Ergebnisse darzustellen. Die forschende Haltung fördert zudem neben einer stärkeren Handlungsorientierung auf Eben des Unterrichts auch eine ko-konstruktive Herangehensweise zwischen Lernenden und Lehrenden. Schüler:innen übernehmen dadurch vermehrt Verantwortung für ihr Lernen und können ihre Selbstwirksamkeitserfahrung innerhalb des Unterrichts steigern.
Die Methode
Inquiry-based Learning folgt einem strukturierten Prozess (vgl. Pedaste et al., 2015), der vorsieht, dass zunächst eine Orientierungsphase erfolgt, in der die Teilnehmenden entweder eine Einführung in die Thematik erhalten (angeleitet) oder sich mit einem Thema auseinandersetzen und eine damit verbundene Fragestellung/ Problemlage definieren (Interessens-geleiteter, freier Einstieg). In der Literatur werden grundsätzlich drei Formen des Inquiry-based Learnings unterschieden: Structured inquiry learning (vorgegebene Frage, vorgegebener Prozess); Guided inquiry learning (vorgegebene Frage, individuelles Vorgehen); Open inquiry learing (individuelle Frage, individuelles Vorgehen) (vgl., Banchi & Bell, 2008, Zion & Mendelovici, 2012).
Der Phase der Orientierung folgt die Konzeptionsphase. Dabei setzten sich die Beteiligten intensiv mit der Problemstellung auseinander und recherchieren, welche Informationen zu der Fragestellung / dem Phänomen bereits bekannt sind bzw. zu welchen Aspekten noch Leerstellen existieren – hier kann z.B. die Literaturrecherche als wissenschaftliche Methode Anwendung finden bzw. Recherchefähigkeiten der Teilnehmenden gezielt gefördert werden. Grundsätzlich entscheiden sich die Lernenden zwischen zwei Zugängen – entweder es erfolgt eine explorative oder eine deduktive, also Hypothesen-prüfende Bearbeitung. Je nachdem welcher Zugang gewählt wird, kann in der nächsten Phase dann die „Untersuchung“ (Investigation) des Problems methodisch angegangen werden. Die Phase beinhaltet sowohl die Planung als auch die Durchführung der Untersuchung (z.B. Experiment durchführen, Interview führen, Dokumente sammeln etc.). Wichtig erscheint hier mit den Lernenden die gewählte Methode auf einer Metaebene zu besprechen bzw. zu reflektieren. Nicht jede Methode eignet sich für den gewählten Zugang. Fraedrich (1999) zeigte etwa für den Geografieunterrricht auf, dass je nach Subdisziplin andere Methoden angewendet werden können. Für die Kulturgeografie und entsprechend einschlägige Fragestellungen boten sich vielfach qualitative Methoden wie etwas das Interview (Befragen) oder ethnographische Zugänge (Beobachten, fotografieren) an, wohingegen sich für die Geologie eher quantitative Methoden wie Messungen (Statistik) oder die Analyse von Proben herausgestellt wurden. Diese Phase schließt mit der sachlichen Darstellung der Ergebnisse ab – dabei ist es essenziell, dass von den Lernenden noch keine Interpretationen vorgenommen werden. Eine oft nicht leichte Aufgabe.
Die vorletzte Phase des strukturierten Prozesses kann als Erkenntnisphase beschrieben werden. Die Lernenden interpretieren ihre Ergebnisse und versuchen Muster zu erkennen bzw. Zusammenhänge zu beschreiben – besonders wichtig hierbei ist die Begründung (Argumentieren). In der Regel findet diese Phase noch nicht im Austausch mit anderen (Gruppen/Individuen statt), sondern ist eine Phase, in der die Beteiligten für sich oder in ihrem Team auf ihre eigenen Daten schauen.
In der letzten Phase des Prozesses (Diskussion) werden die Untersuchungsergebnisse mit Dritten geteilt – z.B. in Form von Präsentationen oder Austauschrunden. Unterschiedliche Ansätze entscheiden, inwieweit die Diskussion eindirektional oder bidirektional gestaltet wird. „Diskussion“ kann auch bedeuten, neues Wissen mit bestehendem Wissen zu verbinden (z.B. die Ergebnisse in Bezug setzen zu bisherigen Erkenntnissen/Befunden) oder die neuen Ergebnisse mit Ergebnissen zu einer gleichen Frage aus anderen Forschungsgruppen zu vergleichen. Die Ausgestaltung der letzten Phase hängt vom gewählten Setting ab (siehe structured, guided, open Inquiry-Ansatz).
Wirksamkeit des Ansatzes
Der Clearing House Unterricht (CHU) der Technischen Universität München (TUM) hat sich Ansätze des Inquriy-based Learning (Froschendes Lernen) auf dessen Wirksamkeit im Naturwissenschaftlichen Unterricht angeschaut. Die Ergebnisse der Meta-Analysen deuten darauf hin, dass SchülerInnen nach Aktivitäten im Sinne des Forschenden Lernens über ein substanziell besseres Verständnis von naturwissenschaftlichen Inhalten verfügen als nach Unterricht mit lehrerzentrierter Instruktion. Wenn Lernende zusätzlich in prozedurale und soziale Aktivitäten (gemeinsam Forschungsfragen oder Experimente entwickeln, Daten sammeln und aufbereiten sowie Ergebnisse präsentieren und diskutieren) involviert waren, erwies sich der Unterricht ebenfalls als besonders wirksam (vgl. Furtak et al. 2012). Gleichzeitig zeigten die Ergebnisse allerdings auch, dass für einen Lernerfolg hervorgerufen durch Forschendes Lernen auch eine entsprechende Begleitung durch die Lehrperson von großer Bedeutung ist (vgl. Lazonder & Harmsen, 2016). Trotz der einschlägigen Forschung zu Inquiry-based Learning im naturwissenschaftliche Unterricht sollte gesagt sein, dass dieser Ansatz auch in geisteswissenschaftlichen Fächern besonders wirksam sein kann.
Research-Practice-Partnerships
Forschendes Lernen bzw. der Ansatz des Inquiry-based Learning lädt dazu ein, Partner:innen auch über die Schulgrenze hinweg in Projekte einzubinden. Besonders bietet sich in diesem Fall eine Research-Practice-Partnerschaft (RPP) an. Diese wird oft mit Hochschulen oder Universitäten gebildet und charakterisiert sich dadurch, dass alle Akteure auf Augenhöhe miteinander arbeiten. Inquiry-based Learning kann dabei nicht nur ein Ansatz sein, der sich auf die Gestaltung des Unterrichts bezieht, sondern auch Fragen der Schul- und Unterrichtsentwicklung thematisieren – in diesem Fall werden die Problemlagen durch Lehrende des Schulteams und Forschende auf ko-konstruktiven Art nach dem gleichen Prinzip bearbeitet. Dies setzt voraus, dass eine Vertrauensbasis zwischen allen Beteiligten generiert wird, eine längerfristige Zusammenarbeit ausgerufen wird und dass sich Forschende auf die Fragestellungen aus der Praxis einlassen.
Veränderte Lernkultur
Inqurity-based Learning in den Schul- und Unterrichtsalltag einzuführen bedeutet gleichzeitig mit Lernenden und Lehrenden eine neue Lernkultur zu erarbeiten. Diese Kultur setzt voraus, dass das eigenständige Arbeiten gezielt gefördert sowie die Interessenslage der Lernenden in besonderem Maße berücksichtigt werden. Zwei kanadischen Forschenden haben diese neue Lernkultur aus meiner Sicht mit ihrer Aussage auf den Punkt gebracht: „Die Fragen unserer Lernenden müssen für uns der Ausgangspunkt des Lernens sein – unsere Aufgabe ist es dann, diese Fragen mit dem Lehrplan zu verbinden und nicht umgekehrt!“. Gleiches gilt auch für Fragen der Schul- und Unterrichtsentwicklung – ausgehende von den Bedarfen des Standortes kann hier im Sinne einer evidenz-informierten Praxis Entwicklung gelebt werden.