Future Skills … Künstliche Intelligenz … Schule
Wie Future Skills und Künstliche Intelligenz Eingang in das Schulsystem finden
Future Skills – Neue Herausforderung für Schulen?
Ein Beitrag von Univ.-Prof. Dr. Christoph Helm
Leiter Abteilung für Bildungsforschung an der JKU Linz – COOL Boardmitglied
Der technische Wandel und die fortschreitende Digitalisierung transformiert unsere Gesellschaft und ihre Teilsysteme in rasantem Tempo. Dies betrifft auch den Bildungsbereich. Sogenannte Future Skills, also die Fähigkeit sich auf einen raschen Wandel einstellen und dessen neue Herausforderungen bewältigen zu können, gewinnen dabei immer mehr an Bedeutung. Die Idee von Future Skills basiert u.a. auf dem Konzept der Emergenz. Emergenz bezeichnet das Phänomen, dass in einem System neue Eigenschaften, Strukturen oder Verhaltensweisen entstehen, die nicht direkt aus den bestehenden Zuständen und/oder den einzelnen Bestandteilen des Systems ableitbar sind (z.B. Ehlers, 2020). Die sich rasch wandelnde Arbeits- und Lebenswelt sind Ausdruck von Emergenz und erfordern von Individuen die Fähigkeit, flexibel, kreativ und adaptiv auf neue Herausforderungen reagieren zu können. Future Skills umfassen daher nicht nur fachliches Wissen, sondern auch metakognitive, soziale und emotionale Kompetenzen, die aus der Fähigkeit entstehen, mit Unsicherheiten und kontinuierlichem Wandel produktiv umzugehen. Im Kontext der rasanten Digitalisierung vieler gesellschaftlicher Teilbereiche, so auch im Bildungswesen, stellt insbesondere die digitale Kompetenz, wie der konstruktive Umgang mit Tools der Künstlichen Intelligenz, einen zentralen Future Skill von Schüler:innen dar (z.B. Ehlers, 2020; Sippl et al., 2023).
Schulen und Lehrkräfte sehen sich daher mit der Herausforderung konfrontiert, Future Skills in Schulen zu fördern. Dies führt unweigerlich zur Frage, welche Future Skills konkret wie gefördert werden können.
Was die Frage nach konkreten Future Skills betrifft, so ist zu konstatieren, dass Future Skills keineswegs ein neues Konzept darstellt. Vielmehr knüpft der aktuelle Diskurs, der insbesondere auch an Hochschulen geführt wird (z.B. Ehlers, 2020) an eine lange Tradition an, in der der Wert fachübergreifender Fähigkeiten und Schlüsselkompetenzen betont wurde. Schon in den 1970er Jahren prägte Dieter Mertens, Leiter des Deutschen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, den Begriff der Schlüsselqualifikationen (Mertens, 1974), die als Grundlage für lebenslanges Lernen und berufliche Anpassungsfähigkeit dienten. In den 1980er und 1990er Jahren rückten im Kontext der Higher Education Research die sogenannten Graduate Attributes in den Fokus, also Kompetenzen, die Absolvent:innen über fachspezifisches Wissen hinaus mitbringen sollten (z.B. Staunton et al., 2021). Parallel dazu etablierte die OECD den Begriff der 21st Century Skills, um die Anforderungen einer globalisierten und technologiegetriebenen Welt zu beschreiben. Mit der Verabschiedung der Sustainable Development Goals (SDGs) durch die Vereinten Nationen im Jahr 2015 (z.B. Moser) wurde deutlich, dass zukunftsorientierte Fähigkeiten auch für globale Herausforderungen wie Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit eine Schlüsselrolle spielen. Dies griff die OECD im Lernkompass 2030 (z.B. Herden, 2023) auf, der ab 2020 ein umfassendes Rahmenwerk für die Förderung von Kompetenzen wie Kreativität, kritischem Denken und Resilienz bereitstellt. Zeitgleich erhielt das Konzept der Future Skills (z.B. Ehlers, 2021) im Bereich der Hochschulbildung neue Aufmerksamkeit. Der Fokus liegt nun darauf, Studierende auf die sich schnell wandelnden Anforderungen des Arbeitsmarkts und der Gesellschaft vorzubereiten.
Was ist also neu am Konzept der Future Skills? Inhaltlich wenig; im Detail haben sich wohl manche Skills verändert (z.B. von analoger hin zu digitaler Kommunikationskompetenz, von Data Literacy hin zur Big Data Literacy) und neue Skills sind hinzugekommen (z.B. Umgang mit KI). In Summe zeigt sich aber: Während die Grundideen der Future Skills über Jahrzehnte hinweg konstant geblieben sind, hat ihre Bedeutung in einer Welt, die durch Digitalisierung, Klimawandel und soziale Transformation geprägt ist, eine neue Dringlichkeit und Relevanz erlangt.
Was die Frage nach der Förderung von Future Skills betrifft, so wird in der Literatur häufig auf Lehr- und Unterrichtsmethoden verwiesen, die oft auch als „innovativ“ gelten und durch bestimmte Merkmale charakterisiert werden. Zu den empfohlenen Ansätzen zählen u.a. Challenge-based Learning, Project-based Learning, Problem-based Learning, Research-based Learning und Design-based Learning. Zentrales Element dieser Methoden ist eine forschungsorientierte Herangehensweise (https://www.cooltrainers.at/innovative-lernumgebungen-inquiry-based-learning/) sowie die Reflexion über den Lernprozess. Zudem rücken die Methoden von mechanischem Lernen, wie dem reinen „Auswendiglernen“, ab und legen stattdessen den Fokus auf die Entwicklung von elaboriertem, vernetztem Wissen (z.B. durch das explizite Anknüpfen von neuem Wissen an bestehendes Vorwissen). Schließlich charakterisieren sich diese Methoden durch Schülerzentrierung, bei der Lernende aktiv in den Prozess eingebunden werden, etwa durch kooperative Arbeitsformen (soziales Lernen) und die Bearbeitung komplexer, interdisziplinärer Aufgabenstellungen. Ergänzt wird dies durch den Einsatz komplexer Prüfungsformate, die nicht nur Wissen abfragen, sondern auch die Anwendung und Integration von Fähigkeiten bewerten. Diese Ansätze fördern damit nicht nur fachspezifische, sondern auch übergreifende Kompetenzen, die für eine dynamische, komplexe Welt essenziell sind, und unterstützen die Entwicklung kritischen und kreativen Denkens.
Im Kontext der Förderung digitaler Kompetenzen sind etwa Methoden wie „Hackathon“ oder „Design Thinking“ mittlerweile etabliert. Allerdings ist, was den Einsatz von KI in Schule und Unterricht betrifft, bislang in Hinblick auf innovative Unterrichtsmethoden wenig bekannt. Vielmehr konzentrieren sich bisherige empirische Untersuchungen auf die Häufigkeit und die Motive des Einsatzes von KI-Tools im Unterricht sowie die Einstellungen und wahrgenommenen Herausforderungen von Schüler:innen und Lehrkräften sowie Eltern. Daher werden nachfolgend zentrale Erkenntnisse dieser Studien vorgestellt.
Der Einzug Künstlicher Intelligenz in Österreichs Schulen
Sowohl Schülerbefragungen als auch Lehrkräftebefragungen der Johannes Kepler Universität Linz legen den Einsatz von KI-Tools in Schulen offen. Während aus Sicht der Lehrkräfte (Helm et al., 2024a; Weinhandl, 2024) Mitte 2023 KI noch eher selten im Unterricht eingesetzt wurde – rund 90% verneinten den Einsatz von KI in ihrem Unterricht – ist davon auszugehen, dass heute deutlich mehr Lehrkräfte auf diese Tools zurückgreifen. Zumindest aus Schüler:innensicht legt eine aktuelle Studie der WU Wien in Handelsakademien (Schopf, 2024) nahe, dass etwa 50% bereits ChatGPT und Co für das eigene Lernen nutzen. Darüber hinaus zeigt eine aktuelle repräsentative Elternbefragung (Helm, 2024a), dass zwar 3 von 10 Eltern mit ihren Kindern über das Thema KI und Lernen sprechen, aber nur 1 von 10 Elternteile bei der Unterstützung ihrer Kinder beim Lernen auf KI-Tools zurückgreift. Das Ausmaß der Nutzung von KI-Tools hängt dabei von mehreren Faktoren (z.B. Helm et al., 2024b, Helm et al., 2024c, Weinhandl, 2024). Die zitierten Studien zeigen einheitlich, dass die Nutzung von KI-Tools in erster Linie durch den wahrgenommenen pädagogischen Nutzen (Lehrkräfte) bzw. den Nutzen für das eigene Lernen (Schüler:innen) vorhergesagt wird. Darüber hinaus hängt der Einsatz von KI im Unterricht davon ab, ob Lehrkräfte auch privat KI nutzen sowie vom Unterrichtsfach (in Sprachenfächern wird KI deutlich häufiger eingesetzt als bspw. in Mathematik) und vom Schultyp (in berufsbildenden höheren Schulen ist der Einsatz deutlich stärker verbreitet als in den AHS und Mittelschulen) (vgl. Helm et al., 2024b).
Die in der Wiener WU-Studie (Schopf, 2024) befragten Schüler:innen gaben an ChatGPT regelmäßig zur Informationsrecherche, zum Erklären von Inhalten, zur Ideenfindung, zum Erstellen und Zusammenfassen von Texten sowie zur Prüfungsvorbereitung zu nutzen. Die Schüler:innen sehen mehrheitlich die KI als förderlich für den eigenen Lernerfolg und die Lernfreude. Auch stellt die große Mehrheit der Schüler:innen klar, dass sie trotz KI-Tools weiterhin selbständig lernen wollen, um Kompetenzen zu erwerben und neue Inhalte zu verstehen. Die Studie zeigt zudem, dass erfolgreiches Lernen unter Einsatz von ChatGPT und Co entscheidend davon ab, ob die Antworten kritisch reflektiert und sinnvoll verarbeitet werden. Eine bloße Übernahme führt nicht zu nachhaltigem Lernen (Helm, 2024).
Fazit: Die Schule der Zukunft aktiv gestalten
Künstliche Intelligenz und Future Skills bieten enormes Potenzial, die Schule der Zukunft individueller, nachhaltiger und effektiver zu gestalten. Gleichzeitig zeigen die Studien, dass es klare Strategien und eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten braucht, um diese Technologien verantwortungsvoll zu nutzen.
Die Schule der Zukunft ist kein Selbstläufer – sie erfordert Engagement, Kreativität und eine kritische Auseinandersetzung mit neuen Technologien. Mit einer Kombination aus Innovation, Reflexion und Zusammenarbeit können Lehrkräfte, Schüler:innen und Eltern gemeinsam den Wandel gestalten.
Literatur
Ehlers, Ulf-Daniel. Future Skills : Lernen der Zukunft – Hochschule der Zukunft. 1st ed. 2020, Springer Fachmedien Wiesbaden Imprint: Springer VS, 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3.
Helm, C. (2024). KI macht Schule – aktuelle Befunde zum Einsatz von KI an berufsbildenden Schulen. Vortrag an der Bundeshandelsakademie Steyr.
Helm, C., Aistleitner, T., & Dorfer, R. (2024a). Elternbefragung zum Lehrkräftemangel in Österreich. https://doi.org/10.35011/jbb.2024-5.
Helm, C., Grosse, C. S., & öbv (2024b). Einsatz künstlicher Intelligenz im Schulalltag – eine empirische Bestandsaufnahme. In Erziehung und Unterricht (3-4/2024, pp. 370–381).
Helm, C., Große, C., Weinhandl, R., & Riepl, A. (2024c). KI macht Schule Vorhersage der Akzeptanz eines „Game Changers”. Vortrag am ÖFEB-Kongress 2024. Wien, 24.-27.9.2024
Herden, O. (2023). CODING FOR CHILDREN – A WAY TO FULFILL THE AIMS OF THE OECD LEARNING COMPASS 2030? In Education and New Developments, Education and New Developments 2023 – Volume 1. inScience Press. https://doi.org/10.36315/2023v1end063
Mertens, D. (1975): Schlüsselqualifikationen. Thesen zur Schulung für eine moderne Gesellschaft. In: Mitteilungen der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 7, S. 36–43 – Online unter URL: http://www.panorama.ch/files/2745.pdf (Stand: 28.04.08)
Moser, E. (2021). Die Sustainable Development Goals und Armut. In G. Schweiger & C. Sedmak (Eds.), Handbuch Philosophie und Armut (pp. 340–346). J. B. Metzler. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05740-2_47
Schopf, C. (2024). ChatGPT & Co – KI-Nutzung durch Schüler/innen an kaufmännischen Schulen. Vortrag an der Jahrestagung der Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft 2024. Dresden, 18.9.2024.
Sippl, C., Brandhofer, G., & Rauscher, E. (2023). Futures Literacy. Zukunft lernen und lehren. StudienVerlag. https://doi.org/10.53349/oa.2022.a2.170
Staunton, C., Cowley-Cunningham, M. B., & Hodgers, J. (2021). Developing a Graduate Attribute Framework for Higher Education. SSRN Electronic Journal. Advance online publication. https://doi.org/10.2139/ssrn.3878312
Weinhandl, R. (2024). AI-basierte Tools ins Klassenzimmer: Was zukünftige Mathematik-Lehrer:innen dazu bewegen könnte oder davon abhalten könnte. Vortrag am ÖFEB-Kongress 2024. Wien, 24.-27.9.2024